Autorin Katja Hachenberg
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Virginia Woolf: Tagebücher

Tagebücher 3 (1925-1930)

S. Fischer, 1999

„So vergehen die Tage, & ich frage mich manchmal, ob man nicht, wie ein Kind von einer Silberkugel, vom Leben hypnotisiert ist; & ob das leben bedeutet. Es ist sehr bewegt, leuchtend, aufregend. Aber oberflächlich vielleicht. Ich würde gerne die Kugel in meine Hände nehmen & geruhsam fühlen, daß sie rund, glatt, schwer ist. & sie so halten, Tag für Tag. Ich will Proust lesen, glaube ich. Ich will zurückgehen & vorwärts.“

Es ist ein tief beeindruckendes Erlebnis, die Tagebücher Virginia Woolfs zu lesen, ihre Poetizität und Kraft zu spüren, ihre Sensibilität und Wahrnehmungsgenauigkeit zu verfolgen („Die Gier meiner Augen ist unstillbar“, heißt es im März 1927). Und es ist spannend, direkten Einblick zu erhalten in den (Schreib-)Alltag dieser großen Schriftstellerin und Essayistin. Im Frühjahr 1925 erschienen „Mrs Dalloway“ und der erste Band der Essaysammlung „Der gewöhnliche Leser“. Damit begann eine äußerst produktive Zeit in Woolfs künstlerischem Schaffen, was sie mit den Worten kommentiert: „Ich kann gar nicht schnell genug kritzeln, um alles an die Oberfläche zu bringen“. Die Tagebücher der Jahre 1925-1930 reflektieren die Entstehung, Publikation und Rezeption so bedeutender Werke wie „Zum Leuchtturm“, „Orlando“ und „Ein Zimmer für sich allein“. Der Roman „Die Wellen“ ist mit seinem hochkomplexen und schwierigen Entstehungsprozess in den Tagebüchern so ausführlich kommentiert wie kein anderes Werk. Zugleich sind die Tagebücher angefüllt mit der Wiedergabe der intensiven Beobachtung von und Auseinandersetzung mit Menschen, Freunden, Schriftstellerkollegen, mit der Reflexion von Geselligkeiten und Gesprächen, mit Klatsch und Tratsch, Ärgernissen, Landschafts- und Reisebeschreibungen sowie der Darstellung der gesamten Palette menschlichen Erlebens und Fühlens – wie Glück, Depression und Krankheit. Am 7. November 1928 notiert Virginia Woolf: „Ich glaube, ich kann sagen, daß ich jetzt zu den bekannten Schriftstellern gehöre“, und im Juni 1927 heißt es: „Ich glaube allerdings, daß ich jetzt fast eine etablierte Persönlichkeit bin – als Schriftstellerin. Sie lachen nicht mehr über mich. Bald werde ich für sie etwas Selbstverständliches sein. Möglicherweise werde ich noch eine gefeierte Autorin.“ Die Tagebücher seien all jenen ans Herz gelegt, die Virginia Woolf als Autorin schätzen und mehr über Person und Werkgeschichte erfahren wollen – und ebenso jedem Interessierten, der Einblick erhalten will in den Prozess literarischen Schaffens allgemein wie in die Exzentrizitäten und Exotismen, das Bizarre, einer schillernden Autorenpersönlichkeit im Besonderen.

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