Autorin Katja Hachenberg
Erlesen

Sándor Márai: Die Glut

München, 13. Auflage 2007

Immer wieder war ich mit diesem Buch in Berührung gekommen, hatte es aber niemals gelesen und auch die Hör-CDs verschmäht, die mir ein Freund ausgeliehen hatte, damit ich den Text, wenn schon nicht lesend, so wenigstens hörend kennen lernen könnte.

Als mir „Die Glut“ dann vor einigen Wochen wieder in die Hände fiel und ich außerdem noch im „Spiegel“ – im Zusammenhang mit dem Freitod von Fritz Raddatz – einen Artikel über die Selbstmorde großer Autoren gelesen hatte – Sándor Márai wurde darin auch erwähnt -, dachte ich, dass ich mich dem Buch jetzt endlich widmen sollte. In einem Zug habe ich es durchgelesen und muss sagen, dass ich selten in solchem Maße gefangen genommen wurde von einem Text. Man steigt in dieses Buch wie in einen Raum ein, in dem eigene Gesetze herrschen. Die Zeit tickt darin anders, die Menschen sind andere und auch die Geschehnisse haben ihren besonderen, eigenartigen Fluss. Es scheint, es halte Márai eine Lupe, ein Vergrößerungsglas, über das, was er beschreibt. Alles steht so groß und so genau und so unendlich ruhig vor den Augen, offenporig, nah… Nach über vierzig Jahren begegnen sich zwei Männer wieder, um eine ganze Nacht miteinander zu sprechen über ein Ereignis, das seinerzeit geschah und im Herzen des einen Mannes brennende Fragen hinterließ. Die beiden Männer haben diese eine Nacht, um den „großen“ Fragen, denen nach Liebe, Leidenschaft und Treue, nach Wahrheit und Lüge, nach dem Sinn des Lebens auf den Grund zu gehen. „Die wichtigen Fragen“, heißt es im Buch, „beantwortet man letztlich immer mit seinem ganzen Leben“. Und, so heißt es weiter, „was ist die Antwort wert, die man nicht mit der Wirklichkeit seines Lebens gibt?“. Nach der Lektüre von „Die Glut“ wird man sein Leben anders sehen – bestenfalls nicht bloß ein wenig, sondern von Grund auf. Man begreift, dass man die entscheidenden Fragen im Leben mit der Wirklichkeit seines Lebens beantwortet – oder, besser vielleicht, dass das Leben selbst es ist, durch uns, das diese Antworten gibt. „Mag sein“, schreibt Márai in seinen 1942 erschienenen Betrachtungen „Himmel und Erde“, „mag sein, dass die Einsamkeit den Menschen zerstört, so wie sie Pascal, Hölderlin und Nietzsche zerstört hat. Aber dieses Scheitern, dieser Bruch sind eines denkenden Menschen noch immer würdiger als die Anbiederung an eine Welt, die ihn zuerst mit ihren Verführungen ansteckt, um ihn dann in den Graben zu werfen… Bleib allein und antworte“. 1989 nimmt der 1900 in Kaschau geborene Márai sich, völlig vereinsamt und literarisch nicht mehr tätig, in San Diego das Leben. „Die Glut“ hat die Jahrzehnte überdauert und wird, so wage ich zu behaupten, die Jahrhunderte ebenso überdauern.

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